Ja, wieder ein Gottesdienst aus unserer Sommer-Predigtreihe „Liebe, Lust und Leidenschaft“. Liebe- oft beschrieben und besungen, eine oft schwer zu beschreibende Emotion.Dieser Gottesdienst widmet sich Menschen, die andere Liebeserfahrungen gemacht haben und machen, als die der sog. heteronormativen auf Fortpflanzung gerichteten Beziehung oder Liebe zwischen Frau und Mann. Menschen, die Menschen des eigenen Geschlechts begehren ; mehr als einen Menschen begehren, sich weder als Frau oder Mann fühlen, in ihrem Körper sowohl weibliche als auch männliche Merkmale vereinbaren, Menschen, die sich mit ihrem biologisch-determinierten Geschlecht- dem Sex- fremd fühlen. Diese Menschen, die sich selbst als queer bezeichnen und sich zur LBGT⋇- Gruppe/Community zählen, sie alle sollen sich in diesem Gottesdienst wahrgenommen, gesehen und willkommen fühlen.
L=lesbisch, B=bisexuell, G= gay, t= transsexuell , ⋇ = andere Geschlechtserfahrung, wie non-binär
Gebet
Komm Du uns nahe, Gott.Du Gott der Vielfalt, der Diversität Mitten in der Dunkelheit der Zeiten ist Dein Licht erschienen und Du hast uns und die Welt erschaffen. Du bist zu uns gekommen mit Deiner Güte und Barmherzigkeit, als Vater, als Mutter, als Mann, als Frau und in vielen anderen Erscheinungen, wie auch in einem Regenbogen. Du hast unsere Sehnsucht nach Leben geweckt. Komm mit Deiner Gerechtigkeit und Liebe, die Verschlossenes öffnet und Queeres ermöglicht. Schenke uns Kraft in unserem Schmerz bei erlebter Intoleranz und öffne unsere Sinne für Deine Zukunft in gegenseitiger Toleranz, dass wir alle unsere Herzen wieder stärken und leben können. Amen
Ansprache
Liebe Leser*innen. In der Geschichte von David und Jonathan geht es oberflächlich gesehen um Macht und Einfluss, um Ruhm und Ehre, um die Nachfolge als König. Jedoch es geht noch um mehr: um eine außergewöhnliche Männerfreundschaft, ja Liebe. Zeitlich befinden wir uns in der Königsherrschaft von Saul I. Es besteht schon lange Krieg zwischen Israel und den Philistern, die den heutigen Gaza-Streifen bewohnten. David, der Hirtenjunge, der allein den Philister Goliath mit seiner Steinschleuder angeschossen hatte und ihn anschließend mit dem Schwert getötet hatte. David der als schön, stark und charmant beschrieben wird, ein maskuliner Draufgänger-Typ, der König von Israel werden wird. Nach diesem Kampf mit Goliath wurde David von König Saul im Königshof in Jerusalem aufgenommen. Dort lernten sich Jonathan, einer der Söhne des amtierenden König Saul, und David kennen. Es wird beschrieben, dass Jonathan von David begeistert war und er ihn liebte wie sein eigenes Leben. Zitat: „Nach dem Gespräch Davids mit Saul schloss Jonathan David in sein Herz, und Jonathan liebte David wie sein eigenes Leben. Er schloss mit David einen Bund, denn er hatte ihn lieb wie sein eigenes Herz. Er zog den Mantel, den er anhatte, aus und gab ihn David, ebenso seine Rüstung, sein Schwert, seinen Bogen und seinen Gürtel.“ (1. Buch Samuel, Kapitel 18,1-4)
Jonathans Handlung ist für einen Königssohn und Mann bemerkenswert; er ist legitimer Nachfolger Sauls als König von Israel und macht sich gegenüber David schutzlos, ja angreifbar und verwundbar. Er entledigt sich als Zeichen seiner Liebe seiner Rüstung, er steht quasi nackt vor David. Eine vollkommen untypische männliche Verhaltensweise in der damaligen Zeit – und wohl auch noch heute. Ein Zeugnis einer grenzenlosen Liebe und eines Vertrauens kommt hier zum Ausdruck.Liebe ist eben bedingungslos. Selbstverständlich standen Fragen von Stand, Macht und Einfluss zwischen den beiden. König Saul – so erfahren wir – beobachtete diese Beziehung misstrauisch, zumal er auch um seine Position fürchten musste, da er neben seinen altersbedingten Einschränkungen auch zunehmend depressiv wurde. Es wird berichtet, dass David für ihn oft auf der Laute spielte und dazu sang, um ihn aufzuheitern.→ Hinweis auf Psalmen. Jonathan verbrachte viel Zeit mit David, bildete ihn zum Krieger aus, so dass David erfolgreich weiter kämpfte und weithin bekannt wurde. Für Saul wurde David schließlich zu mächtig; er bekam mehr und mehr Angst um seine Macht, er war eifersüchtig auf Davids Reputation und seien Erfolge in den bestehenden kriegerischen Auseinandersetzungen. Daher beschloss Saul David zu töten. David ahnte und spürte dies; darum kehrte er nach einer Schlacht nicht in den Palast zurück. Auch Jonathan erkannte diese schwierige Situation, die ihn sehr belastet haben muss; er stand zwischen der Loyalität zu seinem Vater und seiner Liebe zu David. Er muss sich entscheiden; er steht an einer Lebenskreuzung: Wie gehe ich weiter in meinem Leben. Diese Situation des Konfliktes zwischen eigenem Fühlen und Erwartungen von außen, ist eine Situation, die im Coming-out von vielen queeren Menschen erlebt und ausgehalten werden muss. Es ist wie eine zweite Geburt deren Ausgang jedoch ungewiss ist und zu vielen und auch tiefen Verletzungen führen kann. Jonathan erlebte sein Coming-out; seine bisherige Rolle und seine Zukunft als König erschienen ihm nicht mehr passend. Er setzte sich stattdessen bei seinem Vater für David ein. Er vermittelte und sprach sich für David aus. Doch Saul reagierte unerbittlich in seinem Hass auf David- und wohl auch auf die gemeinsame Beziehung der beiden. Er versuchte David mit einem Speerwurf zu töten, doch David konnte fliehen. Jonathan und David trafen sich nun heimlich, doch auch dies erfuhr Saul und schrie Jonathan an: „Du Sohn einer ehrlosen Mutter. Ich weiß sehr wohl, dass du dir den Sohn Isais erkoren hast, dir und deiner Mutter, die dich geboren hat, zur Schande! Doch solange der Sohn Isais auf Erden lebt, wirst weder du noch dein Königtum Bestand haben.“ (1. Samuel 20, 30 f.). Saul verfluchte nun seinen Sohn und nannte dessen Freundschaft zu David eine Schande. Diese Aussage ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass Saul wusste, dass es zwischen Jonathan und David nicht nur um Freundschaft ging. Saul spürte die Liebe zwischen David und Jonathan und hielt sie für gefährlich. Denn sie sprengte alle bekannten Normen und Regeln, die auf Machterhalt und Ordnung in der Königsfamilie ausgerichtet waren. Saul wurde darüber so zornig, dass er sogar einen Speer nach seinem eigenen Sohn warf. Da war Jonathan klar, dass er sich entscheiden musste: Vater oder David. Jonathan entschied sich für David. Sie trafen sich heimlich und erneuerten ihren Bund. Jonathan bat David, seine Nachkommen und die von Saul zu verschonen. Vielleicht ahnte Jonathan bereits, dass er selbst keine Zukunft mehr am Hof hatte. Dann nahmen sie Abschied. „David fiel auf sein Antlitz zur Erde und beugte sich dreimal nieder, und sie küssten einander und weinten miteinander, David aber am allermeisten. Und Jonathan sprach zu David: “Geh hin mit Frieden! Für das, was wir beide geschworen haben im Namen Gottes, dafür stehe Gott zwischen mir und dir, zwischen meinen Nachkommen und deinen Nachkommen in Ewigkeit.“ Und David machte sich auf und ging seines Weges. Jonathan aber ging in die Stadt.“ (1. Samuel 20, 41 ff.). So endet diese Beziehung zwischen David und Jonathan.Eine berührende Geschichte. Eine Geschichte, die eine Liebe zwischen zwei Männern beschreibt mit allen Problemen, wie wir sie auch heute kennen und erlebe- und ebenso mit aller Schönheit und Erfüllung , die diese Liebe gibt. Die Beziehung der beiden Männer wird weder gedeutet noch moralisiert und schon gar nicht verurteilt. Es stellt sich auch keine Frage nach sexuellen Praktiken oder einer Kategorisierung der Beziehung bzw. der Beteiligten in schwul/gay oder bisexuell. Diese Liebe war einfach da und prägte die Handlungsweisen der beiden Männer, sie handelten schlicht emotional und nicht rational. Von David erfahren wir im weiteren Verlauf, dass er als König weitere Beziehungen – auch zu Frauen – eingehen wird und Vater werden wird. Jonathan fällt später im Krieg, Saul stirbt altersbedingt , beide werden von David beweint: „Israel, dein Stolz liegt erschlagen auf deinen Höhen. Ach, die Helden sind gefallen! Saul und Jonathan, die Geliebten und Teuren, im Leben und im Tod sind sie nicht getrennt.
Sie waren schneller als Adler, waren stärker als Löwen.
Ihr Töchter Israels, um Saul müsst ihr weinen, er hat euch in köstlichem Purpur gekleidet, hat goldenen Schmuck auf eure Gewänder geheftet. Auch, die Helden sind gefallen mitten im Kampf. Jonathan liegt erschlagen auf den Höhen. Weh ist es mir um dich, mein Bruder Jonathan, ich habe große Freude und Wonne an dir gehabt. Du warst mir sehr lieb. Wunderbarer war deine Liebe für mich, mehr als die Liebe der Frauen. Auch, die Helden sind gefallen, die Waffen des Kampfes verloren.“ (2. Samuel, 1, 1 ff.)
Dies spricht für sich. Warum habe ich diese Geschichte gewählt? Ich habe sie wegen ihrer Außergewöhnlichkeit und Offenheit gewählt; sie ist so bemerkenswert, dass sie ohne Zensur in die Bibel und ihre Übersetzungen übernommen wurde. Sie ist für mich ein Beispiel für die Vielfalt von Liebe, explizit an der homosexuellen Liebe. Aus anderen sog. außerbiblischen Quellen wissen wir heute, dass Männer auch zur damaligen Zeit homoerotische Liebschaften hatten. Auch Sex war legitim. Einschränkend muss jedoch erwähnt werden, dass dies nicht offen geschehen konnte, denn die Männer sollten verheiratet sein. Nach außen sollte das heteronormative Bild quasi gewahrt werden. Beziehungen zwischen Frauen, auch sexuelle, werden nicht erwähnt; sie wurden nicht „wahrgenommen“, also geduldet. Es zeigt sich also auch die reduzierte Wahrnehmung der Frauen in der Gesellschaft.- damals und heute? Mir zeigt diese Geschichte von Jonathan und David , wie vielfältig Liebe ist und gelebt werden kann; sie zeigt mir auch wie vielfältig ich G⋇tt denken muss, der uns so gemacht hat, wie wir sind. Die sich selbst als queere Theologin bezeichnende Dr. Kerstin Söderblom schreibt zu dieser Geschichte: „Wenn Beziehungen so gelebt werden, dann verdienen sie Respekt. Egal wie sie genannt werden. Denn Liebe ist vielfältig, überwältigend, und sie kann Grenzen sprengen. Menschliche Gefühle sind so viel reicher und vielschichtiger als Verbote und Normen. Solange sie im gegenseitigen Einverständnis, in Respekt und Achtung der Menschenwürde des Gegenübers gelebt werden.“ Gut, dass es heute möglich ist diese Gefühle und Liebe in unserem Land zu zeigen; leider – und dies stimmt mich sehr traurig, ist es auch heute noch vielerorts, wie in Russland, Ungarn, Polen, den Arabischen Emiraten und auch in afrikanischen und südamerikanischen Ländern, nicht unproblematisch oder sogar lebensgefährlich diese Gefühle und Liebe zu zeigen. Amen
Fürbitten
Du siehst uns Gott, so wie wir sind. Queer, LBGT⋇ und vieles mehr. Du willst uns, gib uns Kraft unsere Liebe zu bekennen. Sei bei denen, die wegen ihrer Liebe verfolgt werden. – Du siehst uns als Menschen, als Männer, als Frauen mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Hilf, uns gegenseitig zu akzeptieren und zu schätzen – Du siehst Menschen, die krank sind, die in Not leben, die hungern, die dursten, die in Kriegen überleben müssen, die verfolgt werden, die bald sterben werden. Sei Du ihnen nahe und gib Ihnen deine Kraft und deinen Segen. – Wenn wir jetzt gemeinsam das „Vater unser“ beten, so legen wir alle unsere Anliegen vor Dich und denken bei dem Wort „Vater“ stellvertretend auch an Deine Vielfältigkeit als Mutter, ja als querer G*tt : Vater unser …
Segen
G⋇tt segne und behüte Dich. G⋇tt lasse leuchten ihr Angesicht über Dir und sei Dir gnädig. G⋇tt erhebe das Angesicht auf Dich und gebe Dir Frieden. Amen
Es grüßt Sie herzlichst, Ihr Prädikant Dr.Thomas Mandel