Andacht 2. So. v. d. Passionszeit, 12.02.2023, von Pfarrer i.P. Martin Hahn

  • Beitrags-Kategorie:Andacht

Die Seligpreisungen sind vielleicht die wichtigsten Worte, die Jesus jemals von sich gegeben hat. Sie sind das Lied, in dem sein Leben erklingt. Wir wollen uns heute damit beschäftigen, was es bedeutet, nach den Seligpreisungen Christ zu sein.

Es gibt davon neun, und sie sind in drei Dreiergruppen gegliedert. Selig sind die Armen im Geiste, selig sind die Trauernden und selig sind die Sanftmütigen, so lauten die ersten drei. Jesus sagt damit: Das Christentum beginnt mit den Verzweifelten. Bist du unglücklich? Liegt dein Leben in Trümmern, gehen deine Pläne für deine Karriere, deine Ehe, dein Studium, deine Gesundheit nicht auf? Wenn ja, lautet die gute Nachricht: Du bist genau dort, wo das Evangelium seine Wurzeln schlägt. Aber diese drei sind auch eine Botschaft an diejenigen, die gelangweilt, desillusioniert, gelähmt oder abgestumpft sind und sehen wollen, worum es im Christentum eigentlich geht. Die Botschaft lautet: Geh zu jemandem, dessen Magen leer ist, dessen Kopf schmerzt, dessen Geist zerschlagen ist, dessen Herz schwer ist. Jesus fängt genau dort an. Das Christentum beginnt damit, dich diesen Menschen zuzuwenden.

Zoomen wir noch ein bisschen weiter rein. Schaut euch an, wie Jesus diese drei Arten von Elend beschreibt. Die erste lautet genauer übersetzt „arm im Geist“. Was bedeutet das? Angenommen du weißt, dass du etwas falsch gemacht hast, vielleicht viele Dinge falsch, vielleicht eine Sache sehr falsch. Und darum verlierst du dein Selbstvertrauen, dein Stolz bringt dich dazu, dass du dich schämst. Schämst dein Gesicht draußen im Dorf zu zeigen, dich schämst, jemandem dein wahres Ich zu offenbaren. Du magst dich vielleicht über die Maßstäbe und die verurteilenden Haltungen der Menschen ärgern. Du weißt aber auf jeden Fall, dass du dich damit ins Abseits gestellt hast. Und so sperrst du dich nach und nach selbst aus der Gesellschaft, aus der Kirchengemeinde, aus den Freundschaften und deiner Beziehung zu Gott aus. Du wirst arm im Geiste.

Dann benennt Jesus als selig diejenigen, die trauern. Diejenigen, die trauern, weil die Sterblichkeit und die Zerbrechlichkeit und vielleicht auch das schiere Pech jemanden geraubt haben, der ihr Lebensgrund war, der ihr Herz zum Singen gebracht hat. Trauern bedeutet, unverschuldet zu leiden, weil wir unser Leben und das Leben eines anderen Menschen verschmolzen haben. Diejenigen, die trauern, sind diejenigen, die leiden, weil sie geliebt haben.

Und dann gibt es noch die Sanftmütigen. Die Sanftmütigen sind diejenigen, die durch die Schuld eines anderen leiden. Die Sanftmütigen sind die Unterdrückten, die Benachteiligten, die Diskriminierten, die Stimmlosen, die gesichtslosen Statisten, die Enteigneten.

In diesen ersten drei Seligpreisungen sagt Jesus, dass das Evangelium ganz unten beginnt: unabhängig davon, ob dich jemand dorthin gebracht hat, ob du vom Pech verfolgt bist oder ob du dich selbst dorthin gebracht hast. Hier gibt Jesus die erste Antwort auf die Frage nach dem Christsein: Christsein bedeutet, am diesem Ort der Tränen zu verweilen.

So, wir haben noch sechs Seligpreisungen vor uns. Die nächsten drei Seligpreisungen lauten wie folgt: Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit … Selig sind die Barmherzigen … Selig sind die reinen Herzens sind.

Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine solche Sehnsucht, ein solches Verlangen und eine solche Sehnsucht, Jesus nachzufolgen, dass es sich wie Hunger und Durst anfühlt. Diejenigen, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, sind diejenigen, die so sehr auf Gott ausgerichtet sind, die sich ihrer Fehlerhaftigkeit vor Gott bewusst sind. Trotzdem bleiben sie immer aktiv in ihrem Versuch, auf Gottes Wegen zu wandeln. Dieses Verlangen nach Gott wird ihre Speise und ihr Trank, ihr täglich Brot. Ich habe einmal eine junge Frau in Marburg gefragt: „Warum bist du Christin? Was bedeutet das für dich?‘ Sie antwortete: „Ich möchte so sein wie Jesus – denken wie er, handeln wie er, lieben wie er, leben wie er. Das bedeutet es, nach der Gerechtigkeit zu hungern und zu dürsten.

Dann kommt die Barmherzigkeit. Das ist vielleicht die zentrale Seligpreisungen. Wenn die Gerechtigkeit unsere Achtung vor Gott ist, dann ist die Barmherzigkeit unsere Einstellung zu den anderen. Später sagt Jesus: „Behandelt andere so, wie ihr wollt, dass sie euch behandeln“. Hier sagt Jesus: „Behandelt andere so, wie Gott euch bereits behandelt hat“. Wie möchten Sie, wie möchtest du, dass Gott dich am Ende deines Lebens behandelt? Behandele andere heute auf diese Weise. Zeige ihnen die Barmherzigkeit, um die Sie Gott bitten.

Erkenne Gott in den anderen, und Gott wird Christus in dir erkennen.

Die nächste Seligpreisung lautet: „selig, die reinen Herzens sind“. Beim Durst nach Gerechtigkeit geht es um Gott, bei der Barmherzigkeit um andere, und bei der Reinheit des Herzens geht es um uns selbst. Ein großer Theologe sagte einmal: „Reinheit des Herzens bedeutet, nur eine Sache zu wollen“. Wir haben ja eben gebetet, dass Gott uns Weisheit geben möge, zu unterscheiden. In jedem verantwortungsvollen Job muss man zwischen dem Dringenden und dem Wichtigen unterscheiden und beurteilen, welche Dinge dringend, aber nicht wichtig sind, welche Dinge wichtig, aber nicht dringend sind, und welche Dinge weder dringend noch wichtig sind. Bei der Reinheit des Herzens geht es darum, aus Gewohnheit und klar zu wissen, welche Dinge wichtig sind. Nicht modisch, nicht populär, nicht effektiv, nicht entspannend, nicht klug, nicht witzig, nicht dramatisch, nicht unbedingt dringend: sondern wichtig. Um dann, in einer Krise, wenn alle anderen den Durchblick verloren haben, in der Lage zu sein, die eine Sache zu sehen, die niemand sonst zu sehen vermag. Weil man nie aufgehört hat, sie zu sehen.

Die zweite Antwort lautet: Es geht nicht darum, dass du die Welt veränderst, sondern darum, dass du dich von Gott verändern lässt. Die Welt verändert sich dann nach und nach von selbst.

In den letzten drei Seligpreisungen geht es darum, was mit uns geschieht, wenn wir der Logik von Jesu Leben folgen. Wir beginnen mit „Selig sind, die Frieden stiften“. Um ein Friedensstifter zu sein, muss man die erste Gruppe der Seligpreisungen verstehen – wie Sünde, Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Leid zu Konflikten führen. Aber man muss auch die zweite Gruppe der Seligpreisungen verinnerlichen, denn um Frieden zu stiften, braucht es Barmherzigkeit, braucht es einen gesunden Sinn für das, was wichtig ist, braucht es Gott. Wie wird man ein Friedensstifter? Eine Frage, die Sie sich jeden Morgen stellen können lautet: „Wie kann ich eine versöhnende Gegenwart im Leben meines Nächsten sein?

Und nun die letzten beiden. Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden… Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei lügen. In diesen beiden letzten Seligpreisungen spricht Jesus über diejenigen, die Gott so sehr lieben, dass es ihnen egal ist, wer es weiß, wie viel es kostet, wie unbeliebt es sie macht und wie sehr es ihr Leben gefährdet. Das ist ein Glaube, der der Liebe Christi bis zum Ende folgt, ein Glaube, der sich der Logik des Evangeliums nicht entzieht, ein Glaube, der nicht müde wird, selbst Angesichts von Feindseligkeit, selbst Angesichts von Hass, selbst Angesichts von Gefahr.

Jesus spricht das Evangelium nicht nur aus. Er lebt es. Es stellt sich heraus, dass die Seligpreisungen nichts anderes sind als seine Geschichte. Jede einzelne von ihnen nimmt einen Moment auf dem Weg Jesu nach Golgatha vorweg. Er ist arm im Geist, als er die Sünde der ganzen Welt auf sich nimmt. Unendlich isoliert und allein. Er trauert, als sein Herz in Gethsemane schwer wird. Er ist sanftmütig, als er fälschlicherweise angeklagt wird, und sagt dennoch kein einziges Wort zu seiner Verteidigung. Er dürstet am Kreuz. Er ist barmherzig, wenn er sagt: „Vater, vergib ihnen…“. Er ist reinen Herzens, wenn er sagt: „Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe. Er ist ein Friedensstifter, wenn er Petrus sagt, er solle sein Schwert wegstecken. In jedem Moment der Passionsgeschichte wird er von den Priestern, Schriftgelehrten, Soldaten und Schaulustigen verfolgt und geschmäht. Die Seligpreisungen sind sozusagen die Autobiographie Jesu. Das Lied, das in seinem Leben erklingt. Mit den Seligpreisungen sagt Jesus: So bin ich – und ihr sollt sein wie ich – mein Leib da draußen in der Welt. Christ sein heißt, die Seligpreisungen zu leben.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre eure Herzen und Sinn in Jesus Christus. Amen

Bleiben Sie behütet und gesund!

Es grüßt Sie herzlichst, Ihr

Pfarrer i.P. Martin Hahn