Der Friede Gottes sei mit Euch! – Du bist ein Gott, der mich sieht, so heißt die Jahreslosung für 2023. Sie steht im 1. Buch Mose im 16. Kapitel, also ziemlich am Anfang der Bibel, in einer Geschichte aus den Erzählungen von den sogenannten Erzvätern und Erzmüttern. Heute soll es um diese Losung gehen. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Gebet
Ja, Gott, Du siehst uns an, so wie wir sind. Du hast uns wunderbar gemacht und siehst alle unsere Wege. Manchmal macht uns das unsicher: kann ich überhaupt bestehen vor Deinem Angesicht? Und doch wissen wir tief im Herzen: Dein Blick ist anders als wir mit unseren Menschenaugen sehen. Du umgibst uns und schaust uns mit Deinen Augen an. Hilf uns, auch selbst zu sehen, wie Du es mit uns meinst, lass Dein Licht für uns leuchten am äußersten Meer und hier, wo wir sitzen und stehen und gehen heute und an allen Tagen. Amen.
1.Mose 16,1-16
Sarai, Abrams Frau, gebar ihm kein Kind. Sie hatte aber eine ägyptische Magd, die hieß Hagar. Und Sarai sprach zu Abram: Siehe, der HERR hat mich verschlossen, dass ich nicht gebären kann. Geh doch zu meiner Magd, ob ich vielleicht durch sie zu einem Sohn komme. Und Abram gehorchte der Stimme Sarais. Da nahm Sarai, Abrams Frau, ihre ägyptische Magd Hagar und gab sie Abram, ihrem Mann, zur Frau, nachdem Abram zehn Jahre im Lande Kanaan gewohnt hatte. Und er ging zu Hagar, die ward schwanger. Als sie nun sah, dass sie schwanger war, achtete sie ihre Herrin gering. Da sprach Sarai zu Abram: Das Unrecht, das mir geschieht, komme über dich! Ich habe meine Magd dir in die Arme gegeben; nun sie aber sieht, dass sie schwanger geworden ist, bin ich gering geachtet in ihren Augen. Der HERR sei Richter zwischen mir und dir. Abram aber sprach zu Sarai: Siehe, deine Magd ist unter deiner Gewalt; tu mit ihr, wie dir’s gefällt. Da demütigte Sarai sie, sodass sie vor ihr floh. Aber der Engel des HERRN fand sie bei einer Wasserquelle in der Wüste, nämlich bei der Quelle am Wege nach Schur. Der sprach zu ihr: Hagar, Sarais Magd, wo kommst du her und wo willst du hin? Sie sprach: Ich bin von Sarai, meiner Herrin, geflohen. Und der Engel des HERRN sprach zu ihr: Kehre wieder um zu deiner Herrin und demütige dich unter ihre Hand. Und der Engel des HERRN sprach zu ihr: Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können. Weiter sprach der Engel des HERRN zu ihr: Siehe, du bist schwanger geworden und wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen; denn der HERR hat dein Elend erhört. Er wird ein Mann wie ein Wildesel sein; seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn, und er wird sich all seinen Brüdern vor die Nase setzen. Und sie nannte den Namen des HERRN, der mit ihr redete: Du bist ein Gott, der mich sieht. Denn sie sprach: Gewiss hab ich hier hinter dem hergesehen, der mich angesehen hat. Darum nannte man den Brunnen: Brunnen des Lebendigen, der mich sieht. Er liegt zwischen Kadesch und Bered. Und Hagar gebar Abram einen Sohn, und Abram nannte den Sohn, den ihm Hagar gebar, Ismael. Und Abram war sechsundachtzig Jahre alt, als ihm Hagar den Ismael gebar.
Predigt zur Jahreslosung
Liebe Leser*innen,
Du hast aber dicke Beine, sagt sie, und schaut dich in einer Mischung aus Abscheu und Faszination an in der Umkleidekabine der Sporthalle. – Ist das deine Mutter oder deine Oma, fragt er und starrt auf die grauen Locken deiner Mutter, die dich an der Tür des Kindergartens verabschiedet. – Ist das ein Junge oder ein Mädchen, tuscheln welche, und gucken auf deine kurzen Haare auf dem Grundschulhof. – Aus welchem Land kommst du, fragen sie und glotzen deine braune Haut an, dabei bist du ja einfach aus Düsseldorf. – Du musst aber mal was gegen deine Augenringe machen, Collagen soll helfen, sagt sie wohlmeinend und guckt in dein etwas müdes Gesicht. – Die hat aber immer viel Lippenstift drauf, murmeln sie und schauen skeptisch. – Zehn Augenpaare taxieren dich im Vorstellungsgespräch und du fühlst, wie du auf deinem Stuhl ein bisschen zusammenschrumpfst, wie ein Ballon, aus dem langsam die Luft weicht. – Blicke können weh tun. Blicke können verunsichern und Risse reißen. – „Pass nur auf, der liebe Gott sieht alles“, ja, er sieht sogar, was du denkst, haben sie gesagt. Und du hattest Angst vor diesem Gott, der dich ansieht, vor dem du dich nicht verstecken kannst und dem du einfach nicht genug bist, der sich alles merkt, jede Kleinigkeit, jeden kleinen Fehltritt, oder das, was du zumindest dafür hältst. Er sieht alles und du kannst ihm nicht entkommen, seinem Blick, mit dem er dich durchschaut und durchleuchtet und aufspürt, wie das Auge von Mordor in Herr der Ringe, das unerbittlich kreist und jede noch so kleine Regung mit seinem grausamen Strahl in ein zerstörerisches Licht bannt. – Ja, ich kenne ein paar Menschen, denen ist das so gegangen. Ein bekannter Psychoanalytiker unserer Zeit, der hat diese Erfahrung „Gottesvergiftung“ genannt. Und es stimmt, so ein Gott kann dich vergiften und krank machen, ja genau genommen nicht Gott selbst, sondern das, was manche Menschen aus ihm machen, wenn sie sowas sagen. Sie machen IHREN Blick zu seinem Blick und das was er angeblich alles sieht, das ist, was SIE sehen oder sehen wollen. Und damit andere in die Enge treiben – manchmal sogar mit besten Absichten – vielleicht sogar in eine Angst, aus der es keinen Ausweg gibt. Außer vielleicht, Gott ganz zu vergessen. Dieser Psychoanalytiker, der hat darüber seinen Gott verloren. „Freut euch, wenn euer Gott freundlicher war“ schreibt er in seinem Buch. – Du bist ein Gott, der mich sieht. – So sagt es Hagar, die Magd, in der biblischen Geschichte. Es ist alles kompliziert. Sara kann keine Kinder bekommen. Abraham und sie werden immer älter. Und Sarah sagt, so war es damals üblich: Mach Hagar ein Kind und das ist dann meins. Hagar ist eine Sklavin. und in der Logik der antiken Welt dann eben auch einfach eine Gebärmaschine für die Mächtigen. Abraham macht mit. Hagar wird schwanger. Und die Frauen streiten. Hagar will das Kind nicht hergeben. Und sie blickt voll Verachtung auf die alte Sarah. Sarah spürt das. Und da wird sie böse und gemein. Sie beschwert sich bei Abraham und der sagt: Mach mit ihr, was du willst. Und Sara wird so gemein zu Hagar, dass die in die Wüste läuft, meilenweit. Sie will sterben. – Du bist ein Gott, der mich sieht. – Ein Engel Gottes kommt. Und aus ihm spricht Gott selbst. Wo willst Du hin, fragt er. Er sieht sie. Er sieht, was geschehen ist. All das Unrecht. Hagar wird ausgenutzt, Sara demütigt sie. Abraham lässt alles an sich vorübergehen. Und genau DA schaut Gott hin. Nicht auf die Schuld, die Hagar vielleicht auch hat. Nicht auf ihre Fehler. Sondern auf ihre Not und ihr Elend, gerade jetzt. Gott sieht, was Hagar weh tut, was sie verunsichert und was Risse in sie reißt. – Du bist ein Gott, der mich sieht. – Ja, Gott schaut auf Hagar eben nicht so, wie sie bisher angeschaut worden ist. Er schaut auf sie so, dass er ihr ein „Ansehen“ verleiht. Er schickt sie zurück. Zurück zu Sarah und in den ganzen Wahnsinn des Lebens, dem sie entkommen wollte. Aber sie selbst ist eine andere geworden. Sie hat „Ansehen.“ – Du bist ein Gott, der mich sieht. – Hagar geht zurück. Die Geschichte nimmt ihren Lauf, so wie sie das manchmal tut in unser aller Lebensgeschichten. Aber sie weiß: Gott sieht ihr Elend an und lässt sie nicht damit allein. Er sieht SIE an. Und sie kann sich auch selbst so ansehen, wie Gott auf sie schaut. Nicht mit dem verletzenden und demütigenden Blick, der sie taxiert und klein macht. Sondern mit einem Blick, der sie sieht und zu einer Frau mit „Ansehen“ macht . Ein Blick wie ein Schutzschild, der um sie liegt. Freut euch, wenn euer Gott freundlicher war, so hat es der Psychoanalytiker geschrieben. Und ja, ich freue mich, denn meiner war es. Ich hatte zum Glück nie Menschen, die mich mit Gott vergiftet haben. Aber ich ahne, wie leicht das passieren kann. Und deshalb wünsch ich mir für mich und dich, dass wir von Zeit zu Zeit sagen können, wie Hagar, in dieser uralten Geschichte: – Du bist ein Gott, der mich sieht. – Und dabei spüren: Gottes Blick ist ein Blick, der beschützt, wenn die Blicke von anderen mich verletzt haben. Wenn das Leben dir die Luft rauszulassen scheint wie aus einem schrumpfenden Ballon. Oder wenn ich mich verkriechen will aus dem alltäglichen Wahnsinn. Gott sieht. Er sieht auch, wenn du dich verirrt hast und umkehren musst. Das kann er dir nicht ersparen. Aber er weiß eben, wie es mir geht und dir, mit allen Ängsten und Unsicherheiten und Rissen, die das Leben oder die Blicke der anderen reißen und genau da schaut er hin. Gott sieht anders, als die Blicke, die auf dicke Beine schauen, auf graue Haare oder darauf, ob du eindeutig ein Junge oder ein Mädchen bist. Anders als die Blicke, die auf die Farbe deiner Haut schauen, oder ob sie tätowiert ist oder gepierct und daraus irgendwelche Schlüsse ziehen. Er sieht auf den verrutschten Lippenstift und auf die Ringe und Runzeln in deinem Gesicht und er sieht deinen Erfolg und dein Scheitern und deine Not, deine Stärke und dein Glück und in all dem verleiht er Ansehen. Dir und mir. Und vielleicht können wir davon etwas teilen, auch mit denen, denen das Leben vergiftet worden ist, mit Gott oder mit verletzenden Blicken von anderen: Wenn wir versuchen, so zu sehen, wie Gott sieht und seinen Blick zu unserem machen. Und damit einander Ansehen verleihen. Amen.
Fürbitten / Vaterunser
Gott, wir danken Dir dafür, dass Du uns ansiehst, so wie wir sind und erkennst, wo und wer wir sind. Bitte sei bei allen, die sich nicht gesehen fühlen, schau sie mit Augen der Liebe an und lass sie spüren: Auch ihnen wird Ansehen zuteil. Wir bitten dich für alle, die unter den Blicken anderer leiden, bei allen, die Angst haben, nicht genug zu sein oder fehl am Platz. Hüll sie ein mit einem Blick, der sie schützt vor zerstörerischen Zweifeln und vor Ablehnung und Missgunst. Gott, hilf uns hier auf der Erde, die Welt und unsere Mitmenschen mit Deinem Blick zu sehen und unsere Kräfte dafür einzusetzen, dass etwas davon spürbar wird, dass wir einander Ansehen verleihen und nicht wegschauen, wenn jemand gedemütigt wird oder ausgenutzt. Schau Du hin wo Menschen leiden. Schau Du auf Not und Elend. Schau auf Krieg und Gewalt und öffne den Menschen, die andere peinigen und verfolgen, die Augen für deinen Blick. – Vater unser … Amen
Segen
Der Herr segne und behüte dich; er lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; er erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen
Bleiben Sie behütet und gesund! Es grüßt Sie herzlichst, Ihre
Pfarrerin Dr. Anna Scholz