Ich freue mich, dass wir heute auf diese Weise miteinander verbunden sind! Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen
Lied: EG 401,2
Liebe, die du mich erkoren, / eh ich noch geschaffen war, / Liebe, die du Mensch geboren / und mir gleich wardst ganz und gar: / Liebe, dir ergeb ich mich, / dein zu bleiben ewiglich.
Hohelied 2,8-13.16+17
8Da ist die Stimme meines Freundes! Siehe, er kommt und hüpft über die Berge und springt über die Hügel. 9Mein Freund gleicht einer Gazelle oder einem jungen Hirsch. Siehe, er steht hinter unsrer Wand und sieht durchs Fenster und blickt durchs Gitter. 10Mein Freund antwortet und spricht zu mir:
Steh auf, meine Freundin, meine Schöne, und komm her! 11Denn siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist vorbei und dahin. 12Die Blumen sind hervorgekommen im Lande, der Lenz ist herbeigekommen, und die Turteltaube lässt sich hören in unserm Lande. 13Der Feigenbaum lässt Früchte reifen, und die Weinstöcke blühen und duften. Steh auf, meine Freundin, und komm, meine Schöne, komm her!
16Mein Freund ist mein und ich bin sein, der unter Lotosblüten weidet. 17Bis es Tag wird und die Schatten schwinden, wende dich her gleich einer Gazelle, mein Freund, oder gleich einem jungen Hirsch auf den Balsambergen.
Ansprache
Liebe Leser*innen, möglicherweise ist manch Eine*r von Ihnen überrascht über die Worte, die Sie soeben als Predigttext für heute in unserer Sommerthemenreihe „Sommer der Liebe“ gelesen haben. Da ging es nicht um Gott oder Jesus, sondern es war ganz einfach ein Liebesgedicht, in dem die Frühlingsgefühle eines Mädchens beschrieben werden. Verliebt zu sein hat etwas ganz Prickelndes, etwas Spannendes. Da wundert es kaum, dass der Freund hüpft und springt. Schließlich ist er auf dem Weg zu seiner Freundin, kann es offensichtlich kaum noch erwarten, bei ihr zu sein. Sie ist genauso gespannt und erwartungsvoll. Sie wartet auf sein Werben, sein Locken. Sein Wunsch: Komm, meine Schöne, komm her! ist auch der ihre. Man kann sich diese Szene richtig gut vorstellen. Sie würde jedem Liebesroman, jedem Liebesfilm zur Ehre gereichen. – Zu finden ist dieses Gedicht im „Hohelied Salomos“ im Alten Testament. Es ist im Grunde genommen eine Sammlung von Gedichten, die von Liebe handeln – und zwar ganz eindeutig von erotischer Liebe, also von Sex. In wunderschönen Worten und Bildern sprechen sie vom gegenseitigen Verlangen von Mann und Frau. Es werden die Vorzüge, die Schönheit und der Duft des oder der Geliebten beschrieben. Es kommt die Sorge zur Sprache, zurückgewiesen zu werden oder vor verschlossenen Türen zu stehen. Und es wird von Lust und Ekstase gesprochen, von Verführung und mit schönen Bildern auch von Sexualität. Die Texte haben dabei nichts „dreckiges“ an sich. Im Gegenteil – es ist eher ein Lobpreis – ein Lobpreis glücklicher, gleichberechtigter Sexualität, in dem die erotische Vereinigung zweier Menschen gefeiert wird.
In der christlichen Tradition hat man sich mit dieser Sammlung von Gedichten eher schwer getan, ist eher „versteckt“ worden. Sie steht zum Beispiel im krassen Gegensatz zur Haltung des Apostels Paulus, der sexuelles Verlangen sehr kritisch gesehen hat. Christen, so Paulus, sollten besser enthaltsam leben. Die Wiederkunft Christi und das Ende der Welt stünden ja ohnehin kurz bevor. Nur wenn man es nicht schafft, diesem hohen Ideal zu entsprechen, sei es besser zu heiraten „anstatt (vor sexuellem Verlangen) zu brennen“ (1. Kor 7,9). Die übermächtige Begierde muss man dann eben in der Ehe kanalisieren… Etwas anders ist es im Judentum. Da wird das Hohelied an besonderen Festtagen, insbesondere am Ende des Passah-Festes gelesen. Allerdings wird das Hohelied dort, ähnlich wie im Christentum, als sinnbildliche Geschichte, in der es eigentlich nicht um menschliche Sexualität geht, sondern um die Beziehung zwischen Gott und Mensch, häufig gedeutet. Ich denke, dass die Übertragung der zwischenmenschlichen Liebe auf die Beziehung zwischen Gott und Mensch ihre Berechtigung hat. Aber ich bin auch der Meinung, man sollte das nicht vorschnell tun. Sondern das Hohelied zuerst als das ansehen, was es offensichtlich ist: eine Sammlung von schönen Liebesgedichten, ein Lobpreis auf die erotische Liebe. – Wenn man diese Gedichte liest, fällt auf, dass sie überwiegend in Dialogform verfasst sind. Zwei Liebende sprechen mit- oder übereinander. Manchmal kommt noch eine dritte Stimme dazu, die das Ganze von außen kommentiert. Besonders auffällig ist, dass die weibliche Sprecherin wesentlich häufiger zu Wort kommt als ihr männliches Gegenüber. Sie ist überhaupt auffallend aktiv, stark und handlungsmächtig. Etwas, was gar nicht zu der männerdominierten Gesellschaftsordnung des Alten Testaments passt. Im Hohelied lässt gegenseitiges Verlangen die beiden Liebenden zu gleichberechtigten Partner werden: „Mein Geliebter ist mein und ich bin sein“, heißt es immer wieder. Im Verlangen zueinander sind hier Mann und Frau gleichberechtigt, wie es im Paradies, vor dem Sündenfall, war. Mitten in der Bibel gibt es also ein Buch, das im sexuellen Verlangen, in der Lust am Körper des Anderen und im Liebesrausch keine Sünde sieht, sondern die von Gott im Paradies gewollte Gleichberechtigung der Geschlechter ermöglicht.
Und – man kann einiges von den beiden Liebenden lernen:
Es legt einem nahe, den Körper des Partners/der Partnerin zunächst als einen „verschlossenen Garten“ anzusehen. Also etwas, über das ich nicht einfach verfügen oder das ich nicht ungefragt betreten darf. Doch wo zwei Menschen sich gegenseitig füreinander öffnen und einander einladen, diesen Garten zu betreten, da lässt sich tatsächlich ein wenig paradiesisches Glück erleben – in Ekstase und vollkommener Harmonie. Diese Momente sind ein Geschenk Gottes. Freilich ist gerade der Bereich der Sexualität einer, der auch ein besonders großes Potential für Verletzungen und Schmerz birgt. Wer sich öffnet, macht sich verletzlich. Zudem bringt der menschliche Trieb nach diesem Glück (hier wohl vor allem Männer) immer wieder dazu, eher zur Brechstange oder zum Geldbeutel zu greifen, weil sie glauben, sich in irgendeiner Weise nehmen zu können, was man sich nur schenken lassen kann. – Die Gedichte des Hoheliedes handeln also zunächst von menschlicher Lust und Zweisamkeit. Und doch macht es Sinn, sie auch (!) als Sinnbild für die Beziehung zwischen Gott und Mensch zu sehen. Denn Gott ist in gewisser Weise auch ein solch „verschlossener Garten“. Wir können Gott nicht mit der Brechstange erobern, und wir können Gottes Nähe nicht kaufen. Deshalb sollten wir unsere Beziehung zu ihm vielleicht auch mit der Beziehung eines frisch verliebten Paares vergleichen: ein Pärchen, bei dem beide vorsichtig umeinander werben und einander achtsam erobern – stets bedacht darauf, dem oder der anderen nicht unangenehm nahe zu kommen; jedoch in der Hoffnung, dass er oder sie sich öffnet, wie ich mich öffne. So, wie zwei Liebende ihr größtes Glück dann finden können, wenn sie sich im gegenseitigen Einvernehmen ganz und gar füreinander öffnen, sich dem/der anderen in gewisser Weise schenken bzw. hingeben – so können auch wir unser größtes Glück darin finden, wenn wir uns für Gott öffnen, ihm uns hingeben. So wie wir sind. Ohne Masken, ohne Fassade, ohne Sicherheitsnetz. In einem übertragenen Sinne nackt. – Und Gott? Ist nicht auch Gott einer, der sich uns in Jesus Christus ganz und gar hingegeben hat. Der sein Verlangen nach uns zum Ausdruck bringt: „Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.“ (Jer 31,3), Gott, der den Himmel verlassen hat, um unsere Herzen zu erobern, und um uns nahe zu kommen. Gott, der in Jesus den Schleier, der Himmel und Erde trennt, durchgetrennt hat, damit wir ihn sehen können. Der sich in Jesus angreifbar gemacht hat, berührbar und verletzlich – wie nur ein Liebender verletzlich sein kann? – Die Geschichte Jesu ist die Geschichte des Liebeswerbens Gottes: Gott, der uns liebt und der uns einlädt zu paradiesischem Glück. Sich in Liebe zu öffnen ist immer ein Wagnis. Wir haben – zurecht – Angst vor Zurückweisung oder Enttäuschung. Und dennoch: Gehen wir das Wagnis ein, uns von Gottes Liebeswerben erobern zu lassen! Wagen wir es auch selbst, uns Gott hinzugeben. Nicht nur mit wohl überlegten Gebeten, sondern mit allen Sinnen: freudig, singend, lachend, tanzend – und leicht. Tanzen wir den Tanz der Verliebten – auch mit unserem Gott! Amen
Lied: Ich bete an die Macht der Liebe (EG 617)
Fürbittengebet / Vaterunser
Herr Gott, himmlischer Vater,
deine Liebe zu uns ist größer als alles, was wir uns vorstellen können.
Wir danken dir für diese Liebe und lass sie unser Leben durchdringen.
So bitten wir:
Für alle Liebenden und alle, in denen die Liebe zu erlöschen droht, dass sie nicht aufhören, einander zu suchen und zu finden.
Für alle Einsamen und alle, die sich nach Gemeinschaft sehnen, dass ihre Sehnsucht gestillt werde und Menschen aufeinander zugehen.
Für alle Menschen in Not und Bedrängnis, in Hunger, Krankheit und Gefängnis, dass sie nicht hungrig bleiben, nicht ohne heilsame Hilfe, nicht ohne Erbarmen.
Für alle Völker der Welt, dass wir Wege finden des Frieden, der Versöhnung und der Gerechtigkeit!
Für diese Erde und alles Leben, Pflanzen, Menschen, Tiere und alle Natur, dass wir das unsere zu tun vermögen, die geschundene Schöpfung zu erneuern und zu bewahren.
O komm Herr Jesu, komm, erlöse uns aus Sünde und Schuld und mache uns bereit, dein Heil zu empfangen und deine Liebe zu teilen.
Vater unser im Himmel, …
Jüdischer Segensspruch
Ich wünsche dir Augen, mit denen Du einem Menschen ins Herz schauen kannst und die nicht blind werden, aufmerksam zu sein auf das, was er von dir braucht. Ich wünsche dir Ohren, mit denen Du auch Zwischentöne wahrnehmen kannst, und die nicht taub werden beim Horchen auf das, was das Glück und die Not des anderen ist. Ich wünsche dir einen Mund, der das Unrecht beim Namen nennt, und der nicht verlegen ist, um ein Wort des Trostes und der Liebe zur rechten Zeit. Ich wünsche dir Hände, mit denen du liebkosen und Versöhnung bekräftigen kannst, und die nicht festhalten, was du in Fülle hast und teilen kannst. Ich wünsche dir Füße, die dich auf den Weg bringen, zu dem, was wichtig ist, und die nicht stehen bleiben, vor den Schritten, die entscheidend sind. Ich wünsche dir ein Rückgrat, mit dem du aufrecht und aufrichtig leben kannst, und das sich nicht beugt, vor Unterdrückung, Willkür und Macht. Und ich wünsche dir ein Herz, in dem viele Menschen zu Hause sind, und das nicht müde wird, Liebe zu üben und Schuld zu verzeihen.
Bleiben Sie behütet und gesund!
Es grüßt Sie herzlichst, Ihre
Sabine Klatt, Diakonin/Prädikantin