Andacht 2. Advent 10.12.2023, Sabine Klatt, Diakonin/Prädikantin

  • Beitrags-Kategorie:Andacht

Ich freue mich, dass wir heute auf diese Weise miteinander verbunden sind! Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

„Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!“ Nicht mehr lange, dann zeigt er sich. Dann kommt er und alles wird anders, alles wird neu. Diese glühende Erwartung durchzieht die Bibel. Mehr als 2000 Jahre sind seitdem vergangen. Die Erwartung hat sich abgekühlt. Glauben wir noch, dass etwas anders werden wird? Dass Gott kommt und die Welt neu macht? Meist leben wir so vor uns hin. Aber manchmal meldet sich die Sehnsucht auch heute noch. Vielleicht besonders in diesen Wochen des Advents. Und vielleicht sind wir genau ihretwegen heute hier zusammengekommen. Und vielleicht will Gott sich uns genau heute zeigen.

Lied: Macht hoch die Tür (EG 1,1-3)

Noch 2 Stunden und 47 Minuten. Dann kommt er an. In 2 Stunden und 17 Minuten wird sie sich in ihr Auto setzen und losfahren. Um ihn abzuholen. Am Bahnhof, Gleis 3. Wie lange ist das jetzt her? Ein halbes Leben. ob er sie wiedererkennt? Ganz so wie früher sieht sie nicht mehr aus. Graue Fäden im Haar, einige Kilo mehr. Sie steht vor dem Kleiderschrank. Blau mochte er immer gern. Sie möchte schön sein heute. „Hey, weißt du noch, wer ich bin? Ich habe dein Facebook-Profil gesehen und möchte dich wiedersehen.“ – die Nachricht kam vor drei Wochen. Seitdem steht sie irgendwie unter Strom. Alles ist wieder da. Die Nachtspaziergänge am Main. Die stundenlangen Telefonate. Der Tanz in den Mai 1992.

Noch 2 Stunden und 34 Minuten. – Welcher Lippenstift? Welches Parfüm? Wie wird es sein, wenn sie sich gegenüberstehen? Ob er noch so lächelt wie früher? Ob er die rechte Augenbraue immer noch so spöttisch hochzieht? Ob er den Wein mag, den sie gekauft hat? Ob es ihm bei ihr gefällt?

Die Zeit zieht sich wie Kaugummi. 2 Stunden und 21 Minuten. – Sie wünscht sich so, dass dieser Abend schön wird.

Sehnsucht. Sich vorbereiten auf ein Wiedersehen. Auf die Ankunft des Freundes. In der Bibel heißt es im Hohelied Salomos:

„Da ist die Stimme meines Freundes. Siehe, er kommt und hüpft über die Berge und springt über die Hügel. Mein Freund gleicht einer Gazelle oder einem jungen Hirsch. Siehe, er steht hinter unsrer Wand und sieht durchs Fenster und blickt durchs Gitter. Mein Freund antwortet und spricht zu mir: Steh auf meine Freundin, meine schöne, und komm her.“

Ein Liebeslied. Vielleicht eines der schönsten der Weltliteratur. Das Lied der Lieder. So lautet die Überschrift in der hebräischen Bibel. Eine Sammlung von Gedichten. Freund und Freundin wechseln sich ab im Preisen und Locken des anderen. Wer schon mal verliebt war, der kennt das vielleicht. Die Koseworte, die Vergleiche, die man ersinnt: Du bist mein Stern, meine Rose, mein Herz. Und jeder, der schon mal verliebt war, weiß auch, wie schwer das Warten ist. Auf das Wiedersehen, das sich in die Augen schauen. Die Umarmung, den Kuss. Sehnsucht haben nach dem anderen. „Er steht hinter der Wand. Schaut durchs Gitter.“ – Ganz ist er noch nicht da, aber es dauert nicht mehr lange. Mein Freund kommt. – Gott kommt. – Das ist die Botschaft des Advents. Wann habe ich Gott eigentlich zum letzten Mal so glühend erwartet wie die junge Frau aus dem Hohelied Salomos ihren Geliebten? Oder so glühend wie die nicht mehr ganz so junge Frau, die auf den Zug wartet, mit dem der Freund aus alten Tagen ankommen soll?

Habe ich ihn überhaupt schon einmal so glühend herbeigesehnt? – Doch, ja. Und andere haben das auch. Das weiß ich.

  • In Situationen etwa, wo Menschen mit jeder Faser ihres Herzens auf eine Antwort warten auf eine Frage, die sie im Tiefsten umtreibt, von der ihr Leben abhängt, ihr Seelenfrieden.
  • In Situationen, die so bedrängend sind, das man alleine nicht herauskommt.
  • In Situationen, in denen die Not eines anderen uns im Innersten trifft.
  • In Situationen, in denen man unter der Oberflächlichkeit dieser Welt leidet.

„Siehe, er kommt und hüpft über die Berge und springt über die Hügel.“

Und dann, eines Tages, werden wir endlich zusammen sein. Mein Freund und ich. Gott und ich. Ich werde mich in seinem Blick spiegeln. Seine Liebe wird mich wärmen. Meine Fragen und Zweifel werden schweigen.

Vielleicht hat ja die Adventssehnsucht etwas damit zu tun. Ich glaube, dass es in all den Lichtern, die wir anzünden, in den Sternen, die wir in die Fenster hängen, in den Karten, die wir an liebe Menschen schreiben, in den Geschenken, die wir aussuchen, auch um etwas geht, das tiefer ist als nur eine schöne dekorierte Atmosphäre.

Es geht um eine tiefe Sehnsucht nach Licht, nach Wärme, nach Liebe, nach Angenommensein, nach Versöhnung und Frieden.

„Siehe, er kommt.“

Die Freundin im Hohelied bereitet sich auf das Kommen ihres Freundes vor. Sie macht sich schön, schmückt sich. Mit kostbaren Salben und Ölen. – Gott kommt. – Vielleicht kann ich vom Hohelied lernen, mich auf ihn vorzubereiten. „Bereite dich, Zion“ – so heißt es im Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach. Meine Seele schön machen sozusagen. Mich daran erinnern, was wir schon miteinander erlebt haben. Worte für ihn finden, die über das bloße „Gott“ hinausgehen. – Mein Stern. Mein Fels. Mein König. Mein Schönster, mein Liebster … Mir überlegen, worüber er sich wohl freuen könnte. Und das in Angriff nehmen. Hätte doch was. Ein bisschen Zeit ist ja noch bis Weihnachten. Amen

Fürbittengebet / Vaterunser

Advent ist Wartezeit. Sehnsuchtszeit.

Gott, wir bitten dich für alle, die sich nach Glück und Liebe sehnen, danach, angesehen zu werden. Wir rufen: Herr, erhöre uns.

Wir bitten dich für alle, die auf jemanden warten, der in der Ferne ist, der sich schon lange nicht mehr gemeldet hat. Wir rufen: Herr, erhöre uns.

Wir bitten dich für alle, die eine Nachricht oder eine Wendung brauchen, die wieder Licht in ihr Leben bringt. Wir rufen: Herr, erhöre uns.

Wir bitten dich für alle, deren größter Wunsch es ist, im Frieden leben zu können. Wir rufen: Herr, erhöre uns.

Wir bitten dich für alle, die aufgehört haben, noch irgendetwas Gutes zu erhoffen. Wir rufen: Herr, erhöre uns.

Wir bitten dich für alle, die anderen Menschen Wünsche erfüllen und für andere da sind. Wir rufen: Herr, erhöre uns.

Advent ist Wartezeit. Sehnsuchtszeit.

Gott, wir bitten dich: Halte diese Sehnsucht in uns wach und erfülle sie, wenn die Zeit dafür gekommen ist.

Lied: Wir warten dein, o Gottes Sohn (EG 152,1+4)

Segen

Der Herr segne dich und behüte dich.

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.

Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen

Bleiben Sie behütet und gesund!

Es grüßt Sie herzlich, Ihre

Sabine Klatt, Diakonin/Prädikantin