Andacht Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr, 19.11.2023, Sabine Klatt (Diakonin/Prädikantin)

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Ich freue mich, dass wir heute auf diese Weise miteinander verbunden sind! Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Wochenspruch: Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.         Predigttext Mt 25,31-46

Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sich setzen auf den Thron seiner Herrlichkeit, und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken. Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? Oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen? Oder nackt und haben dich gekleidet? Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht. Dann werden auch sie antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.

Ansprache

Liebe Leser*innen,

die Geschichte vom göttlichen Gericht ist bedrückend, macht fast ein bisschen Angst. Sie erzählt davon, wie wir Menschen unser Handeln vor Gott zu verantworten haben, Ausgang offen. Wir wissen nicht wirklich, wo wir stehen und alles ist möglich: Rettung und Verurteilung. Und jeder einzelne von uns könnte sich wohl fragen: Wo stehe ich? Werde ich dem Maßstab gerecht, den die Erzählung vom Endgericht anlegt? Habe ich all den Menschen geholfen, von denen hier die Rede ist und die mir sicher auch in meinem Alltag begegnet sind? Uns wird erzählt von einem unerbittlichen Gericht. Leider können wir nicht ganz schnell sagen, dass Gott doch immer der gnädige Gott ist. Es gibt eben auch den Gott des Gerichts. Deshalb können wir Christen angesichts der Ankündigung des Gerichts beim Evangelisten Matthäus auch nicht annehmen, automatisch auf der rechten Seite der Geretteten zu stehen. Von Gnade ist hier nicht die Rede! Wir müssen uns tatsächlich fragen: Haben Christen damals wie wir heute in den Geringsten ihrer und unserer Welt die Gegenwart des Herrn erkannt oder in den Armen, den Nackten, den Kranken, den Verfolgten? Sind wir, bin ich in meinem Leben diesem Anspruch gerecht geworden? Da brechen Fragen auf: Wo, wann, wen? Und wenn mir dann gezeigt wird, wo mir leidende Menschen begegnet sind, habe ich dann wirklich immer eine zufriedenstellende Antwort parat? Oder kommen mir tausend Entschuldigungen über die Lippen: dass ich nicht anders gekonnt hätte, dass man nicht jedem einzelnen Menschen helfen könne, dass für manche auch Institutionen zuständig seien. Schließlich: Ich kann doch nicht die ganze Welt retten. – Nein, gewiss nicht. – Aber die Geschichte der Kirche und wohl auch die meines eigenen Lebens bezeugt, dass die Kirche, dass ich selber allzu oft an dem Anspruch, dem Herrn nachzufolgen, scheitere, gescheitert bin und die Kirche gescheitert ist: Wir feiern diesen Gottesdienst im November, in dem es so viele Gedenktage und Bußtage gibt. Es ist erst 10 Tage her, dass an vielen Orten in Deutschland der Zerstörung der Synagogen am 9. und 10. November 1938 vor 85 Jahren gedacht wurde. Es ist bedrückend und beschämend, dass getaufte Christen in die Gotteshäuser eingedrungen sind, heilige Schriften, die auch unsere heiligen Schriften sind, in den Dreck geworfen, sie zerrissen haben, sie verbrannten. Es wurde daran erinnert wie zugleich viele Menschen verfolgt, verletzt und auch getötet wurden. Und wir wissen, dass dies alles nur wie ein fernes Wetterleuchten dessen war, was an Leid, Gewalt und Mord über jüdische und andere Mitmenschen gebracht wurde, von denen viele in Konzentrationslagern umgebracht wurden. Dann klingen die Worte vom Endgericht schrill in unseren Ohren. Nein, Christen stehen nicht automatisch auf der richtigen Seite, auf der Seite der Geretteten, das galt schon zu Zeiten des Matthäus nicht, das galt allzu oft in der Geschichte der Kirche nicht und eben auch nicht beim Versagen von Christen und Kirche im sogenannten “Dritten Reich“, und es gilt auch heute nicht. Denn in diesen Tagen schauen wir auch auf das unendliche Leid, das Menschen einander antun. Wir schauen auf Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Gewalttat, Krieg und auch Vernichtung von Minderheiten, wie z. B. in China oder – fast schon vergessen – in Myanmar oder auch im Krieg Russlands gegen die Ukraine, in Israel, Gaza, Palästina, West Banks,… All diese Ereignisse führen dazu, dass Menschen entwurzelt werden. Es gibt Menschen – die wandern, aber unfreiwillig; die auf der Flucht sind, aber nicht angenommen werden; die krank sind, aber nicht versorgt werden; die arm sind, denen wir aber nicht wirklich von unserem Reichtum abgeben. – In ihnen allen begegnete und begegnet uns der Menschensohn, der Mensch gewordene Gott. Auf welche Seite werde ich wohl gestellt, wenn ich nur nach meinem Handeln oder Nichthandeln gefragt werde? Und bringe ich nicht zu schnell den gnädigen Gott ins Spiel! Neben dem gnädigen Gott muss ich auch den richtenden Gott ernst nehmen. Dieses Gericht ist nämlich ein Spiegel meines und unseres Handelns und dessen sollten wir uns immer bewusst sein. Wir stehen kurz vor dem Ende des Kirchenjahres, es sind nur noch wenige Wochen bis Weihnachten. Fast riechen wir schon den Duft der Weihnachtsbäckerei. An Weihnachten werden wieder unsere Herzen aufgehen, wenn wir vor der Krippe stehen, und Weihnachtslieder singen und schöne Kindheitserinnerungen wach werden. Wir werden in den Gottesdiensten von der Selbsterniedrigung Gottes sprechen, von der Stärke, die aus der Schwäche erwächst, vielleicht auch empört sein über die, die den werdenden Eltern keine Herberge anboten, vielleicht auch vom Flüchtlingskind reden. Sehen wir dann in dem Kind auch die Menschen in unserer Welt, die unter Gewalt leiden, die nach Hilfe suchen, die manchmal wirklich erst einmal gekleidet werden müssen? Die Erzählung vom Weltgericht stellt uns auf die dunkle Seite der Krippe. Sie ist nicht von weihnachtlichem Duft geprägt, von warmem Kerzenlicht, das das Dunkle so angenehm erhellt. Sie ist eisig kalt, angefüllt mit Angstschweiß und Todesangst. Die Weihnachtsgeschichte liest sich auch andersherum. An Weihnachten ist nicht nur Gott Mensch geworden. Sondern: In jedem einzelnen Menschen kommt Gott auch zu mir, an Weihnachten und an jedem weiteren Tag meines Lebens. Und dieser Mensch ist oft wenig ansehnlich, mit ihm lässt sich in der Regel kein Staat machen, vielmehr trete ich ihm misstrauisch entgegen, überhöre seine Klage. Natürlich kann nicht jeder einzelne Mensch aktiv in die Flüchtlingsarbeit einsteigen oder bei „Ärzten ohne Grenzen“ mitarbeiten, denn das kostet sehr viel Kraft. Vielleicht fragt mich der Menschensohn im Endgericht auch nur: Wie hast du dich zu den Flüchtlingen in deinem Land gestellt? Was hast du getan gegen rassistische Vorurteile in deiner Umgebung? Hast du den Mund aufgetan gegen Hassreden und Fakenews und gegen die Erniedrigung und Verleumdung von Menschen in deiner Umgebung? Was heißt es am heutigen Volkstrauertag für dich, sich für den Frieden einzusetzen? Wo auch immer wir im Leben stehen, die Fragen des Endgerichts werden uns in jedem Fall gestellt werden. Es könnte sein, dass gesagt wird: Ihr habt mich gekleidet, ihr habt mich besucht. Es könnte aber auch lauten: Ihr habt mich nicht gekleidet, ihr habt mich nicht besucht. Und dann werden wir sagen: Wann? – Doch ich weiß eigentlich schon heute, dass ich vor diesem Gericht nicht bestehen werde, dass ich auf Gottes Gnade hoffen muss. Diese Hoffnung allein allerdings kann mich schon in Bewegung setzen, mir Kraft geben für die Schwachen und Verfolgten in der Welt oder auch schon direkt in meiner Nachbarschaft einzutreten. Vielleicht kann ich dann wenigstens sagen: Ich habe es versucht. Amen.

Lied: So jemand spricht: „Ich liebe Gott“ (EG 412)

Fürbittengebet

Herr, unser Gott, wir denken heute an die Opfer von Krieg und Gewalt in unserer Zeit: an die Soldaten, die in den beiden Weltkriegen gefallen oder in Gefangenschaft gestorben sind; an die Frauen, Kinder und Männer, die durch Kriegshandlungen oder auf der Flucht zu Tode gekommen sind. Wir denken aber auch an die von uns Deutschen umgebrachten Millionen von jüdischen Mitbürgern

und an all die, die unter der Gewaltherrschaft Opfer ihrer Überzeugung und ihres Glaubens wurden. Gott, du kennst jeden dieser Toten mit Namen. Vor dir ist keiner von ihnen verloren. Wir bitten dich: Lass uns nicht dabei stehen bleiben, feierliche Reden zu halten. Gib uns die Kraft, konsequent und mutig für Versöhnung einzutreten, für den Frieden zu arbeiten und Gewalt zu beenden, wo immer sie sich ausbreiten will. Wir bitten dich, dass wir unsere Augen nicht verschließen, vor der Ungerechtigkeit in dieser Welt, vor der Kluft zwischen Arm und reich, die nicht kleiner, sondern immer größer wird. Hilf den politisch Verantwortlichen, den ungerechten Strukturen entgegenzutreten und nach Wegen für eine gerechtere Welt zu suchen. – Vater unser im Himmel, …

Segen

Der Herr segne dich und behüte dich, er lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig, er erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen

Bleiben Sie behütet und gesund!

Es grüßt Sie herzlich, Ihre

Sabine Klatt, Diakonin/Prädikantin

 

 

 

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