Andacht 21. So. n. Trinitatis, 29.10.2023, von Diakonin/Prädikantin Sabine Klatt

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Ich freue mich, dass wir heute auf diese Weise miteinander verbunden sind! Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden und überwinde das Böse mit Gutem.“ (Röm 12,21) – Der Wochenspruch ist aktueller denn je.

Entsetzt blicken die Menschen dieser Tage angesichts der terroristischen Anschläge der Hamas, der eskalierenden Situation in Israel in Richtung Nahost.

Wir sind schockiert über das unglaubliche Ausmaß an terroristischer Gewalt der Hamas in Israel und verurteilen diese. Wir trauern mit unseren jüdischen Schwestern und Brüdern, die einen Angehörigen verloren haben, und bangen mit jenen, die Angst um ihre Lieben haben.

Wir beten für die Bewahrung von Menschenleben, die überall gleich viel wert sind – in Israel, Gaza, Palästina, in der West Bank, im Libanon, in der Ukraine, in Berg-Karabach (Armenien), überall auf der Welt.

Lied: Verleih uns Frieden gnädiglich (EG 421)

Gebet

Frieden in uns, Frieden in der Welt – das ist unser Wunsch. Wir sehnen uns danach. So viel Unfriede ist in uns, so viel Elend und Krieg ist in der Welt. Wir klagen vor dir, Gott, höre uns. Amen

Gottes Absicht mit dieser Welt ist eindeutig.   Es soll Frieden sein. Shalom! Jesus stellt in der Bergpredigt die Wegweiser zum Frieden auf: Nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, barmherzig leben, Versöhnung einüben, Salz der Erde sein, die Feinde lieben, gewaltlos leben, in gerechten Beziehungen zu Gott und den Menschen – und zu den Geschöpfen.

Ansprache

Liebe Leser*innen.

Sie sind gekommen wie Diebe in der Nacht und haben auf schlafende, wehrlose Kinder, Greise, Frauen und Männer geschossen. Und auf tanzende und feiernde Jugendliche. Sie haben sie getötet. Als Geiseln verschleppt. So war das vor zwei Wochen. Der Hass der radikalen Hamas hat Menschen im Süden Israels getroffen, die selbst auf Frieden und Zusammenleben setzen mit den palästinensischen Nachbarn. Menschen, die sich von ihrer eigenen Regierung aber nicht geschützt fühlen. Im Stich gelassen. Der schwärzeste Tag seit dem Holocaust sei dies für Israel. In diesen Konflikt seien seit vielen Jahren die meisten Gelder und die meisten Gebete auf dieser Welt geflossen – Gebete um Frieden und Respekt voreinander. Und so viele Menschen treffen sich dort über die Grenzen hinweg: Eltern zum Beispiel, die bei einem Terroranschlag in Israel oder bei einem Polizeieinsatz auf palästinensischem Gebiet ein Kind verloren haben. Sie treffen sich im Parents-Circle. Um sich kennenzulernen, und über die Grenzen des Hasses hinweg miteinander zu trauern und Freundschaft zu schließen. Aber all das wird immer wieder zerstört. Jedes Pflänzchen der Menschlichkeit zertreten.

… Journalisten, Schriftsteller und „ganz normale Menschen aus der Bevölkerung“ melden sich zu Wort, tun ihre Meinung kund. In Russland – gegen das dortige Regime und an anderen Orten der Welt in denen es gefährlich ist, seine Meinung öffentlich zu sagen.   Was mag in diesen Menschen vor sich gegangen sein, bis sie zu ihrer Entscheidung gefunden haben, nicht zu schweigen, ihre Jugend und ihr Leben zu riskieren? Ich versuche, mir das vorzustellen. Du wachst auf in einem Land, das plötzlich Krieg führt und man darf es nicht so nennen. Politische Morde sind schon seit langem an der Tagesordnung. Die Gefängnisse vollgestopft, Straflager gehören plötzlich wieder zum Alltag. Wie lebt man in einem Land, in dem man sich ständig bedroht fühlt? Wie lebt man in Israel, wo seit Jahrzehnten Raketeneinschläge zum Alltag gehören? Wie lebt man im Gazastreifen, isoliert vom Rest der Welt, dem Geschrei der Radikalen ausgeliefert? Wie lebt man im Westjordanland hinter Mauern, unter Bedrohung der Besatzungsmacht?

Es gibt Texte im Neuen Testament, die solche Erfahrungen erzählen. Sie sind uralt, über 2.00 Jahre alt. Die Briefe des Apostels Paulus. Menschen werden in seiner Welt, im römischen Reich, schon als Kinder versklavt.  Steuern und Abgaben lassen viele verarmen. Auf der Suche nach Arbeit verlassen sie ihre Heimat und landen dann oft in den Elendsvierteln der großen Städte. Krankheiten, Ausbeutung, Gewalt sind an der Tagesordnung. Und bittere Armut. Die menschenfeindliche Übermacht des römischen Reiches hat alle im Griff. Paulus hat einen Namen für diese Übermacht: Herrin Sünde. Etwas von dieser Übermacht erlebt er am eigenen Leib. Und es zerreißt ihn. Er leidet darunter. Und dann schreibt er Briefe. An die Gemeinden in Thessaloniki, in Korinth und auch an die in Rom, in der Hauptstadt des mächtigen römischen Reiches. Hier findet er eine Sprache für diese Zerrissenheit. Klar und wahr, bis heute. Sünde ist die Macht, die den Menschen hindert, das zu tun, was er liebt. Wir wissen doch, dass die Tora von der Geistkraft bestimmt ist. Ich aber bin durch mein begrenztes menschliches Dasein angreifbar, verkauft unter die Gewalt der Sündenmacht. Was ich bewirke, durchschaue ich nicht. Ich mache nämlich nicht das, was ich will, sondern was ich hasse, das tue ich…Das Gute, das ich will, verwirkliche ich nicht. Aber das Schlechte, das ich nicht will, das vollbringe ich. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann bestätige ich damit, dass die Tora heilbringend ist. … Denn mit allem, was mein Menschsein im Innern ausmacht, habe ich Lust an der Tora Gottes. Ich sehe aber ein anderes Gesetz, das mit den Gliedern meines Körpers gegen das Gesetz meiner Sinne zu Felde zieht. Mit Hilfe des Gesetzes der Sündenmacht, das in allen Teilen meines Körpers gegenwärtig ist, versklavt es mich in die Kriegsgefangenschaft. Ich geschundener Mensch! Wer rettet mich aus diesem von den Mächten des Todes beherrschten Dasein? Dank sei Gott durch Jesus, den Messias, unseren Befreier. (Röm 7,14-25 ) – Man kann diese Zeilen des Paulus unterschiedlich deuten und verstehen. Man kann sie lesen als eine grundsätzliche Aussage über uns Menschen. Das Gute kann ich überhaupt nicht vollbringen, ich werde immer scheitern, der Mensch ist schwach, Gefangener seiner Ängste und seines Egoismus. – Man kann sie auch anders lesen. Paulus sagt am Ende: „Wer rettet mich aus diesem von den Mächten des Todes beherrschten Dasein? Dank sei Gott durch Jesus, den Messias, unseren Befreier“.  – Mir kommt das wie ein Schlupfloch vor, durch das man der Übermacht entkommt. Klein und doch reicht es aus. Jesus ist den Tod eines jüdischen Märtyrers im Römischen Reich gestorben ist, gefoltert, entwürdigt, gekreuzigt. Und – von den Toten auferweckt. Der entwürdigte Jesus ist der mit Würde gekrönte Christus. Und hier ist das Schlupfloch in die Freiheit: Vertrauen auf Christus löst heraus aus den Fängen des Todes. Man muss nicht in einer Diktatur leben, um dieses Lebensgefühl zu kennen- das Gute, das ich will und dem ich von ganzem Herzen zustimme, kann ich nicht tun. Auch in einer Demokratie, auch in unserem Land leiden viele unter dieser Schwere. Geflüchtete Menschen, die in dem Land noch nicht arbeiten dürfen, in dem sie frei und in Würde leben wollen. Ohne dass sie es wollen oder beeinflussen können werden sie zu Sozialfällen.  Menschen, die im Krankenhaus von zu viel Arbeit überfordert sind. Sie haben eine ganz andere Vorstellung davon, wie man einem kranken Menschen beisteht oder einen altersschwachen pflegt.

Ihre getaktete Arbeitszeit erlaubt es ihnen nicht. Und doch ist all das im Rahmen einer freien Gesellschaft möglich, auszusprechen, zu diskutieren, zu verändern. Gott sei Lob und Dank. Amen

Lied: Es kommt die Zeit, in der die Träume sich erfüllen (EG 560)

Fürbittengebet / Vaterunser

Gott, du bist der, der da ist, der Gott Israels, unser Gott. Wir haben keine Worte für das, was in diesen Tagen in Israel geschieht. Keine Worte für das Leid, das die Terroristen der Hamas über Tausende Menschen gebracht haben. Keine Worte für das Unrecht, das Kindern, Frauen, Männern und Familien angetan wurde und wird. Mit unserem Entsetzen kommen wir zu dir, Gott. Wir bitten dich: Breite das Zelt deines Friedens aus über die Menschen in Israel. Dein Frieden, dein Shalom, ist Schutz und Freiheit. – Breite deinen Frieden aus über die, die um Angehörige bangen und trauern. Über die Verwundeten. – Breite das Zelt deines Friedens aus über die, die noch bedroht werden von Terroristen und Raketen. Lass die Entführten und Verschleppten schnell befreit werden und nach Hause kommen. – Breite das Zelt deines Friedens aus über die, die unter Gewalt leiden müssen, und lass die Gewalt enden. – Breite das Zelt deines Friedens aus über die jüdischen Menschen in Deutschland und in allen Ländern, die in diesen Tagen Angst und Bedrohung ausgesetzt sind. – Gott, wir haben keine Worte, und doch müssen wir welche finden. Hilf uns dabei, dass wir als evangelische Christinnen und Christen unmissverständlich an der Seite Israels und der jüdischen Gemeinschaften überall in der Welt stehen. Dass wir laut und deutlich eintreten gegen Judenfeindlichkeit und gegen Israelhass. Dass wir sichtbar und hörbar sind in unserer unverbrüchlichen Solidarität mit unseren jüdischen Geschwistern. Bestärke uns Worte, Stimme und Taten dafür zu finden. – Gott, du bist der, der da ist. Breite das Zelt deines Friedens aus über Israel und über die ganze Welt. – Vater unser im Himmel, …

Segen

Der Herr segne dich und behüte dich. Er lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden!

 

Bleiben Sie behütet und gesund!

Es grüßt Sie/Euch herzlichst,

Diakonin/Prädikantin Sabine Klatt

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